Balladen gegen die Isolation
(21. Juni 2021)
Textpassagen, Musik und Choreografie. All diese perfekt aufeinander abgestimmten Elemente lassen die Aufführungen des „aktionstheater ensembles“ äußerst kurzweilig erscheinen. Mitte Juni war die von Regisseur Martin Gruber geleitete Bregenzer Theatergruppe wieder einmal zu Gast im Wiener Werk X Meidling. Und gleich mit der Doppel-Uraufführung lonely ballads EINS + ZWEI. Doch diesmal war vieles anders. Corona hat die choreografischen Tanzeinlagen stark verändert, bestach doch früher das Ensemble durch sein harmonisches Zusammenspiel. Unter Einhaltung der strengen Sicherheitsvorkehrungen ließ sich Martin Gruber etwas Besonderes einfallen: Die vier Schauspieler*Innen treten einzeln nacheinander auf. So kommt die schauspielerische Leistung von jedem sehr gut zur Geltung (Isabella Jeschke, Thomas Kolle, Tamara Stern und Benjamin Vanyek – allesamt einfach großartig!).
Der mit dem gesamten Ensemble entwickelte Text, auf den Martin Ojster einen dramaturgischen Blick geworfen hat, spricht – wie üblich – über alles und irgendwie auch an allem vorbei. Hilfszahlungen, Immobilienkrise, Abschiebungen von Migranten, Palästina-Konflikt sowie Faschismus und Männer-Gleichberechtigung wechseln im zügigen Tempo mit Gemüse-Schneidetechniken und dem deutsch-österreichischen Sprachkonflikt zwischen Möhrenkuchen und Karottentorte ab. Benjamins Kindheitserinnerungen über die Auflistung von Straßenbahn- und U-Bahn-Haltestellen waren für mich ein besonderer Genuss, wurden tatsächlich die öffentlichen Verkehrsmittel, mit denen ich täglich ins Büro fahre, ausführlich erwähnt!
Persönliche Pandemie-Bestandsaufnahmen ergänzen die Selbstgespräche. Gehen Isabella die Berührungen ab, kann Tamara sehr gut alleine sein, Benjamin ist sogar gerne zuhause. Paradoxerweise schaut die jetzige persönliche finanzielle Situation von Isabella und Thomas besser aus. Während Tamara einen Putz- und Desinfektionswahn entwickelt hat, will Thomas „das Kochverhalten“ seiner Freundin Bettina „optimieren“. Letztendlich wird er aber von dieser als „Küchen-Nazi“ bezeichnet. Dass er dann auch noch von ihr verlassen wird, versteht der „pro-feministische junge Mann“, der sich sogar die Nägel lackiert hat und die Unterwäsche seiner Ex-Freundin trägt, gar nicht. Bei allem Humor haben alle vier eines gemeinsam: ein Wahrnehmungsproblem.
Mit viel Körpereinsatz werfen sich die Schauspieler*Innen in die für sie vorgesehenen Monologe. Halbtransparente hellgraue, beidseits der Bühne platzierte Wände trennen die Schauspieler*Innen von einer sechsköpfigen Musikgruppe (Nadine Abado, Andreas Dauböck, Simon Gramberger, Kristian Musser, Joachim Rifler, Simon Scharinger). Oftmals sprechen die Schauspieler*Innen die Musiker mit ihren Vornamen an, sodass man den Eindruck bekommt, dass die beiden miteinander einen Dialog führen, was sich als sehr kluger Regieeinfall erweist. Text und Musik verweben sich zu einer eindrücklichen Stimmung, die nie langweilig wird und eine enge wechselseitige Beziehung ausstrahlt. Scheint diesmal die Choreografie zu kurz zu kommen, wird der Musik ein größerer Anteil an der Produktion zugewiesen. „Einsame Balladen als Kompensation und Katharsis – oder einfach, um in diesen Zeiten unsere melancholischen Stunden zu füllen“, sagt Martin Gruber. Die CD gibt es unter http://aktionstheater.at/produktionen/lonely-ballads-album-2021/ zu kaufen.